Lebendiges Denken

Andreas H. Buchwald, 13. Juli 2020

Lebendig DenkenEs fällt aus dem Rahmen, das ist seine Haupteigenschaft. Mit dem Blick auf viele heutige Medien müßte man sagen, daß man es nicht „einrahmen“ kann.
Weil es fließt und niemals still steht.

Lebendiges Denken ist das, was sich im Geist lebendiger Menschen abspielt. Im Gegensatz zum abhängigen Denken, welches ein ein für allemal feststehendes Grundmodell braucht, in dessen Grenzen es sich bewegt. Alles, was über dieses Grundmodell hinausschießt und dessen Grenzen überschreitet, bildet eine meist so große Herausforderung, daß sie der „abhängige“ Denker gewöhnlich meidet. Wenn ein Gedanke sein Grundmodell in Frage stellt, bekämpft er ihn, obwohl es eigentlich  n u r  ein Gedanke ist. Vor allem, weil er sehr wohl weiß, daß Gedanken zu Wirklichkeiten werden.
Der lebendige Denker rechnet damit, daß er sich irren kann und korrigiert sich, wenn er einen Irrtum deutlich erkennt. Der abhängige Denker fürchtet, sich zu irren und besteht deshalb immer darauf, recht zu haben.
Der lebendige Denker braucht Abenteuer, so wie Leben die ständige Wandlung braucht, um nicht zu stagnieren und langsam in den Tod einzutreten. Der abhängige Denker braucht Sicherheit und fürchtet die Wandlung, weil er – obwohl ihm das nicht bewußt sein mag – noch gar nicht mit dem Leben begonnen hat. Leben – ein Dasein, bei dem nichts vorausseh- und wirklich planbar ist – erscheint ihm bedrohlich.
Der lebendige Denker bleibt niemals stehen. Er sieht Freunde wie Feinde kommen und gehen – wenige, sehr wenige bleiben –, läßt immer wieder los und sich auf Neues ein. Der abhängige Denker ist darauf aus, ein ideologisches Grundmodell zu erreichen, welches er für so gut und brauchbar hält, daß es ihn bis zum körperlichen Tod begleitet. Wenn er meint, es gefunden zu haben, bleiben seine Freunde und Feinde immer dieselben, zumal sie mit Hilfe einer Ideologie definiert werden.
Der lebendige Denker erkennt seine Ängste und geht durch sie hindurch, weil er hinter der Wand, die sie bilden, neue aufregende Abenteuer vermutet und diese schließlich auch findet. Der abhängige Denker begrenzt seine Möglichkeiten mit der Hilfe seiner Ängste. Was er hat, weiß er, was er bekommen kann, möchte er gar nicht wissen, weil jede Veränderung für ihn eine Gefahr darstellt.
Der lebendige Denker paßt seine (temporären) Überzeugungen nur im äußersten Notfall an, wenn überhaupt. Gruppen und Vereine genießt er, und sie dienen ihm zum Austausch, doch er kann sie auch leicht wieder loslassen. Er widersteht dem Herdentrieb und traut sich, viele Wege allein, manchmal sehr allein, zu gehen. Er ahnt, daß sein Leben „mehr als dies, mehr als jetzt und mehr als hier“ (vgl. Heinz Rudolf Kunze) ist. Der abhängige Denker liebt das Konforme. Deshalb klammert er sich nicht selten an Gruppen, Vereine, Kirchgemeinden oder Parteien. Viele Gleichgesinnte bieten ihm Sicherheit, Geborgenheit. Um ihretwillen ist er bereit, seine Denkprozesse wie auch seinen Lebensausdruck selbst zu zensieren.    
Wenn der lebendige Denker spricht oder schreibt, vermeidet er Aussagen oder Schlagworte, die von allzu vielen benutzt werden. Er weiß, daß die meisten davon geschaffen wurden, um Einrahmungen zu bilden, Etiketten, die man herausfordernden Menschen aufdrückt. Je nach Zeitalter und Jahrhundert verändern sie sich, doch ihr Sinn und Zweck ist immer derselbe gewesen: die Ächtung eines jeden, der ein Grundmodell in Frage stellt: „Hexe“, „Ketzer“, „Ungläubiger“, „Verschwörungstheoretiker“, „Rassist“, „Klimaleugner“ usw. usw. Ideologische Einrahmungen kann man oft schon daran erkennen, daß sie mit dem Suffix -mus enden (wobei allerdings Apfel-, Kartoffel- oder Pflaumenmus rühmliche Ausnahmen bilden). Es handelt sich um Festschreibungen, die niemals dem tatsächlichen Leben – das, wie schon bemerkt, ständig fließt – gerecht werden können. Der abhängige Denker indessen liebt die Etikettenworte. Er schnappt sie von irgendwoher auf und denkt, falls überhaupt, nur sehr schwach über ihren Inhalt nach. Wenn er sich bestimmten Fragen nicht stellen möchte, helfen ihm die Schlag(!)worte, seine Welt zu erhalten.Denken in Schubladen
Der lebendige Denker vertraut sich selbst, seiner inneren Stimme, seiner Verbindung zum Hier und Jetzt, dem Weg seiner Seele. Er weiß, daß alles, was geschieht, ihn gewissermaßen größer, stärker, freier und liebevoller werden läßt. Sein Denken erfüllt ihn wie sein Leben selbst, und dieses sendet ihm wiederum die Botschaften, die er braucht, um den nächsten Schritt zu gehen. Der abhängige Denker hält nach Göttern Ausschau. Entweder er folgt dem Bild – interessant mag in diesem Zusammenhang die alttestamentliche Gottesforderung sein „Du sollst dir kein Bildnis machen“ – einer meistens personifizierten Macht und somit einer etablierten Religionsgemeinschaft (deren Hinweise und Forderungen für ihn Gesetz sind), oder er bindet sein Grundvertrauen an bestimmte, scheinbar mächtige Menschen (Politiker, Stars, Journalisten), vielleicht auch an pure Materie (Geld). Da dieses Vertrauen sehr leicht erschüttert werden kann, muß er beständig um den Erhalt seiner kleinen Welt kämpfen.
Das lebendige Denken ist Teil des Lebens selbst und läßt, indem es sich manifestiert, diesen Planeten erblühen. Das abhängige Denken strebt Trennung, Spaltung und Verfestigung an und ist Teil des Zerstörungswerks an unserem Planeten.
Eine nette Philosophie, ein paar Denkanstöße, neue Etiketten, oder – mehr?

Bilder: ©Finanzfoto,  ©klaus rein - stock.adobe.com


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