Die entzündete Seele

Barbara Scheck

Die entzündete Seele

Wenn ein Buch auf dem Markt erscheint, wirbt es natürlich um Leser. Findet ein Druckwerk einen Interessenten, liegt es daran, daß ihn etwas angezogen hat, nämlich der Titel und/oder Untertitel, die Gestaltung des Umschlags, der Klappentext oder das Thema an sich. Letzteres war bei mir der Fall. Als ich es erhielt, ging ich unvoreingenommen heran und erwartete Informationen, vielleicht einige Fragen, aber gewiß Antworten. So wollte ich positiv und begeistert herangehen und es auf Herz und Nieren prüfen, schließlich schien es mir ein fachlich fundiertes Buch zu sein, es hatte ein Professor der Psychiatrie geschrieben.
So sah ich auch großzügig über den Titel hinweg, weil ich weiß, daß Bücher oft auf übertriebene Weise um die Gunst der Leser werben.
Interessanter der Untertitel. Ich gebe zu, daß es die Wortwahl in sich hat: radikal neu… Heilung… Depressionen…
Wer horcht da nicht auf? Das Thema ist wichtig, dafür gebe ich unbedingt ein „Sternchen“, aber daß ich das Inhaltsverzeichnis überflog, rächte sich ziemlich schnell.
Der erste Stolperstein findet sich für mich im Impressum, doch meine Neugier ist zu groß, so daß ich mich nicht damit aufhalte. Auch die bereits auf Seite 19 und 23 befindlichen Schreibfehler überlese ich. Seite 33 gibt mir stark zu denken, wenn da einer „mit Fug und Recht“ Behauptungen aufstellt und später vom Hundertsten ins Tausendste kommt, die Blut-Hirn-Schranke mit der Berliner Mauer vergleicht und mit „Blockbustern“ um sich wirft…da komme ich ins Grübeln.
WEN will der Autor erreichen?
Erster Gedanke: die betreffenden Patienten. Dafür ist das Werk aber mit viel zu vielen Fachbegriffen gespickt, die nicht erklärt werden (stattdessen im Register aufgeführt, damit man sie im Buch wiederfinden kann - warum?)
Zweiter Gedanke: interessiertes Fachpersonal. Dafür aber ist es viel zu langatmig und mit Fakten durchmischt, die in meinen Augen eher in einen historischen Roman passen würden, der sich mit Krankheiten und deren Behandlung zu Römerzeiten oder im Mittelalter befaßt, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Dritter Gedanke, allerdings mit starken Zweifeln: Fachkollegen. Das wage ich fast nicht zu schreiben, denn dafür ist es wiederum zu dilettantisch.
Bleibt nur die Lesergruppe, die gern mit ihrem (Halb-)Wissen prahlt. Für sie ist es eine wahre Fundgrube. Tief schürfen wird kein Zuhörer, wenn man sich mit einigen Passagen auswendig Gelerntem profilieren kann.
Ein aufgeklärter und wißbegieriger Leser wird enttäuscht, denn selbst wenn im Untertitel nur vom „Ansatz“ zur Heilung gesprochen wird, suggeriert er doch, daß es echte richtungsweisende Vorschläge und Empfehlungen gibt. Wer sich sehr aufmerksam damit befaßt, ahnt, in welche Richtung es gehen kann: die Pharmaindustrie bekommt noch mehr Patienten für Antibiotika und Entzündungshemmer (siehe VITA), auch wenn der Autor Meditation oder Yin und Yang ins Spiel bringt… Am Ende bleiben seine sieben „Vielleicht“ auf seine Frage „Was nun?“ als schaler Nachgeschmack.
Was ich erwartet habe? Klare Definitionen der betreffenden Krankheitsbilder und verschiedene Beispiele; Gegenüberstellung bisheriger Behandlungsmethoden und neuer Ansätze, klar strukturierte Abhandlung, gern auch historische Zusammenhänge, z.B. zu Beginn der jeweiligen Kapitel. Vielleicht hätte etwas Gutes daraus werden können, wenn Mr. Bullmore einen Fachlektor gehabt hätte.
Fazit: Wirklich neue Informationen oder innovative Neuansätze finde ich nicht, denn das Wissen um die Zusammenhänge ist lange bekannt, nur bekam es erst in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit! Einer der Autoren der Duisburger Studie hat mit sehr viel weniger Text auf die neue Entwicklung auf diesem Gebiet hingewiesen!

 

Die entzündete Seele 
- Ein radikal neuer Ansatz zur Heilung von Depressionen
Edward Bullmore
Hardcover, Goldmann 2019, 399 S.
ISBN 978-3-442-31518-5