Mein Gang durch die Hölle

Andreas H. Buchwald

Mein Gang durch die Hölle

„Besser ist‘s, ihr fallt in Gottes Hand als in die der Menschen.“ Dieses sehr bezeichnende Schiller-Zitat (Wilhelm Tell) ist einem Buch vorangestellt, das sich im Grunde nicht wirklich rezensieren läßt. Dennoch ist sein Inhalt brisant genug, um ihm viele Leser oder wenigstens Beachter zu wünschen. Die Autorin (Pseudonym) ist Luxemburgerin und wuchs mit vier Sprachen auf, wobei das Lëtzeburgische weit eher als ihre Muttersprache bezeichnet werden kann als das Deutsche. Deshalb mag es vor allem dem Verlag anzulasten sein, wenn dem Ganzen eine klarere Struktur fehlt, einige Passagen allzu subjektiv daherkommen und ein folgerichtiger chronologischer Ablauf nicht immer und überall leicht erkennbar ist.
Im Fall dieses erzählungsartig verfaßten Reports halte ich jedoch ganz besonders dessen erschütternden Wirklichkeitsgehalt für wichtig, und deshalb sollte er gelesen werden. Es ist der Leidensweg eines Heranwachsenden, der in Internat, Sportgruppe und anderen „Institutionen“ nicht nur gemobbt, sondern regelrecht gefoltert wird, und die dabei durchscheinende und weit mehr betroffen machende Erkenntnis, daß es sich eben nicht um einen Einzelfall handelt. Daß die Täter in den pädagogischen und hierarchisch übergeordneten Positionen sitzen, ihre „Beziehungen“ pflegen und deshalb auch juristisch unangreifbar sind. Hilfsorganisationen, psychologische Beratungs- und Anlaufstellen sind ebenso involviert wie Inhaber höchster Staatsämter.
Die Autorin, die ich persönlich kennengelernt habe und die selbst lange Zeit in einer solchen Institution tätig war, weiß sehr genau, wovon sie schreibt, obwohl sie bislang nur wenige fand, die ihr überhaupt Glauben schenkten. Und sie weiß auch um die Gefahr, in die sie sich begibt, indem sie unermüdlich versucht, eine breitere Öffentlichkeit über Geschehnisse zu informieren, die vor Jahren den berühmt gewordenen „Fall Dutroux“ haben im Sand verlaufen lassen.
Man kann davon ausgehen, daß die in Renée Wums Buch beschriebenen Ereignisse nur die Spitze eines gewaltigen Eisberges sind. Trotz seiner Schwächen verdient dieses 240-Seiten-Werk unser aller Aufmerksamkeit.
Es ist sehr wohl möglich, daß wir in relativ kurzer Zeit von unvorstellbaren Verbrechen unserer „Großkopferten“ hören oder lesen werden, die zu glauben wir uns zunächst vielleicht weigern. Wenn wir aber, beispielsweise durch die Lektüre eines solchen Buches, sozusagen vorsichtig und „scheibchenweise“ auf all das vorbereitet werden, lernen wir Warnzeichen zu erkennen und Strategien zu entwickeln, die unseren eigenen Kindern und Heranwachsenden ein Mindestmaß an (Selbst-)Schutz bieten.

 

Mein Gang durch die Hölle
Renée Wum
edition fischer, 246 Seiten
ISBN 978-3-89950-811-6